Trauer

Traurig zu sein gehört zu unserem menschlichen Leben ebenso dazu wie Freude und Glück. Jedes Kind kennt tiefe Traurigkeit, macht bereits die Erfahrung des schmerzhaften Verlustes und erlebt sich in der Band­breite von Affekten, mit denen es auf den Verlust reagiert. Ratlosig­keit, Niedergeschlagenheit, Trauer, Wut, Schuld-gefühle, Schmerz, Trost­losigkeit, offenes Weinen, Klagen, auch ungerecht und aggressiv sein, außer sich sein. All das gehört zur Trauer.

Es macht aber auch die Erfahrung tröstender Zuwendung. Wir alle haben an uns selbst erlebt, wie wichtig es ist, dass der Trauernde Gehör findet und Zeit, dass er so sein darf, wie er ist.  Wichtig ist, dass er Verständnis und vor allem Begleitung findet. Das gilt wohl für jede Trauer, nicht nur im Angesicht des Todes.

 

Und doch erleben viele Menschen heute ihre eigene Trauer oder ihren trauernden Nächsten, dem sie sich in Anteilnahme zuwenden möchten, um ihn in seiner Trauer zu begleiten, nicht aus der Sicherheit her­aus, wie sie die lange Erfahrung mit eigener Trauer und eigenem Trost bieten sollte.

Sicher liegt das an der Erwartung, die heute an die meisten Menschen gestellt wird, Trauer und die damit verbundenen ganz unterschiedlichen  Gefühle so weit in den Griff zu bekommen, dass sie das ,,norma­le leistungsfähige“ Leben nicht zu stark behindern. Denn der trau­ernde, verletzte Mensch, der einen für ihn ganz einschneidenden Ver­lust durchlebt, kann und wird sich in dieser Zeit nicht an den Lei­stungserwartungen messen

lassen, denen er im gewöhnlichen Alltags­leben Geltung gibt. Vielen Menschen fällt es heute schwer, dem Trau­ernden ein volles Recht auf seine Trauer zuzubilligen. Oft gilt gerade demjenigen die allgemeine Anerkennung, der seine Traurigkeit zurück­hält, der es versteht, sich ,,tapfer zu halten“. Und oft kommt dem Außenstehenden solche Zurückhaltung entgegen. Denn es ist manch­mal nicht leicht, offenes Weinen, Aggressivität und Ungerechtigkeit (auch sie sind Schritte, um mit

dem Verlust fertig zu werden),  zu ertra­gen oder interessiert an nicht enden wollenden Geschichten und Erin­nerungen des Trauernden teilzunehmen.

 

Doch weder dem Betroffenen selbst noch seinem Bekannten hilft das Zurückhalten und die Beherrschung der Trauer auf Dauer wirklich. Jeder Mensch hat das elementare Recht auf seine volle Trauerbewältigung, und vielleicht ist es eine der aufrichtigsten Hilfestellungen der Hinterbliebenen, ihm in ihrer persönlichen Anteilnahme dieses Recht einzuräumen, das heute leider nicht mehr selbstverständlich ist.

 

Heute wird häufig von der heilenden Funktion der Trauer gesprochen und es wird allgemein anerkannt, dass es den Menschen krank machen kann, seine Trauer zu ,,verdrängen“. Andere Kulturen und frühere Zeiten haben den Menschen größeren Raum für ihre Trauer gelassen. So maß die Tragödie des antiken Griechenland der Klage einen hohen Stellenwert in der Phase der Trauer zu. Jahrhundertlang wurde die Trauer durch Klageweiber offen in der Gemeinschaft ausgetragen. Der Sinn für die Endgültigkeit des Todes ist jedoch in unserem Jahrhun­dert oftmals stark hinter der Hoffnung auf die Leistungen der moder­nen Wissenschaften und die Fortschritte der modernen Medizin zurückgetreten. So ist es für manchen Trauernden nicht leicht, an sich selbst mitten in seiner Trauer auch aggressive Gedanken gegen den Verstor­benen, Zorn auf das Verlassensein, zu entdecken. Oder sich selbst plötzlich in antriebsloser Depression zu erleben.

Jede Trauer ist einzigartig und ebenso jeder Weg aus der Trauer, so wie jeder Mensch, der trauert, einzigartig ist. Und doch verläuft die Trauer meist in vier typischen Phasen, die beim einzelnen Menschen jedoch unterschiedlich lang und intensiv ausgeprägt sein können.